Die Alternative: True North

Dies ist der zweite Artikel der Serie Kulturwandel. Der Erste befasste sich mit den Schwächen der klassischen Reorganisation und schlug einen anderen Weg vor: den True North. Hier geht es jetzt darum, wie man zu einem True North gelangt.

Die drei Schritte um den True North zu finden sind: Festlegung des Geltungsbereichs, Findung der Vision und Bestimmung des True North.

Der Geltungsbereich legt fest, in welchem Rahmen der True North gelten soll. Ein Team, eine Abteilung oder eine Firma. Je nachdem wie groß der Bereich gewählt wird, desto weit reicht die Veränderung. Über den Geltungsbereich kann also sehr gut bestimmt werden, ob etwas im Kleinen ausprobiert werden soll oder eine ganze Firma sich verändern will.

Die Vision vom Produkt bzw. Service hilft den Mitarbeitern zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Sie soll die Frage beantworten, was die Firma nach “außen” erreichen will ohne dabei einzuschränken, was dazu im Inneren notwendig ist.
Starbucks zum Beispiel sagt von sich selbst, dass sie keinen Kaffee verkaufen, sondern einen Kurzurlaub anbieten. Ein IT-Dienstleister setzt seine Vision, statt auf Bodyleasing, auf die Unterstützung des Kunden auf Augenhöhe. Toyota sagt von sich, dass sie keine Autos bauen, sondern Menschen mobil machen.

All diese Visionen haben eins gemeinsam: es ist nicht trivial, sie zu erreichen. Statt also zu beschreiben, was das Endergebnis des Wegs zur Vision sein wird, wird beschrieben, wie die Dinge funktionieren, wenn die Vision erreicht ist.
Bei Toyota zum Beispiel lautet der True North: keine Defekte, 100% wertschöpfende Tätigkeiten (also, keine Warte- oder Liegezeiten) und Losgröße von 1 (ein Produkt durchläuft als geschlossener Posten alle Prozessschritte). Bei einer anderen Firma lautet dieser: jeden Tag entsteht eine Innovation und jeder Mitarbeiter arbeitet nur in seinen Stärken.
All diese True Grit sind zugleich unerreichbar und wegweisend. Unerreichbar, weil zum Beispiel Planung bei Toyota keine wertschöpfende Tätigkeit ist, keine Autos produzieren könnten, würden sie nicht planen.
Wegweisend, weil die True North vorgeben, was jeder einzelne Mitarbeiter lernen muss, damit die Firma insgesamt näher in diese Richtung strebt. Es ist in diesem Beispiel also Aufgabe der Mitarbeiter herauszufinden, wie sie die nicht-wertschaffenden Aufgaben reduzieren und trotzdem weiterhin Autos produzieren können.

Um alle drei Teile zusammen zu bringen, eignet sich ein 2-tägiger Workshop, zu dem lediglich der Geltungsbereich vorher bekannt sein muss. Aus diesem ergibt sich der notwendige Teilnehmerkreis, mit dem die True North-Findung durchgeführt werden kann. Je nachdem wofür der Zustand gelten soll, müssen unterschiedliche Personen bei seiner Ausarbeitung beteiligt werden. Die Kunst besteht darin, eine geeignete Auswahl zu treffen, die einerseits viele Perspektiven einbezieht und große Akzeptanz im Geltungsrahmen schafft. Andererseits sollte die Gruppe klein genug sein, damit sie Entscheidungsfähig ist und sich auf eine Version einigen kann. In klassischen Kontexten ist die Einbeziehung der ersten beiden Hierarchieebenen ein guter Startpunkt. Also zum Beispiel der Geschäftsführer plus die Abteilungsleiter (bei einem Firmen-True North) oder der Bereichsleiter plus Teamleads (bei einem Bereichs-True North). Alternativ kann die Gruppe auch von den Mitarbeitern gewählt werden, wodurch eine sehr hohe Akzeptanz erreicht wird. In jedem Fall bietet es sich an, den True North in einem partizipativen Format (wie zum Beispiel Open Space [Owen, Harrison (2008). Open Space Technology: A User’s Guide (3rd ed.). Berrett-Koehler]) mit den Mitarbeitern zu diskutieren und gff. anzupassen.

Als Startpunkt zur Erarbeitung der Vision, kann das Product Vision Board [Pichler, Roman. „Produktvision Und Produkt-Roadmap.“ Agiles Produktmanagement Mit Scrum Erfolgreich Als Product Owner Arbeiten. Heidelberg: Dpunkt-Verl., 2014] verwendet werden. Dieses einfache Tool hilft sehr schnell, Klarheit über die Vision herzustellen. Die fünf Bereiche des Boards lassen sich durch Gruppenübungen (zum Beispiel Brain-Writing) sammeln und schließlich über gemeinsame Priorisierung schärfen. Wichtig ist hierbei nicht, dass die perfekte Vision entsteht, sondern dass eine entsteht, auf die sich alle einigen können und die herausfordernd ist. Die Vision kann im Laufe der Zeit weiter angepasst werden, sollte dabei allerdings nicht schwammig werden.
Ausgehend von der Vision findet die Gruppe Ideen, wie sich diese erreichen lässt. Schließlich extrahiert man daraus die Prozesseigenschaften die notwendig sind, damit diese Dinge entstehen können.
Ein Beispiel: Die Vision eines Marketing-Portal-Anbieters ist es, für seine Kunden jederzeit die ideale Lösung bereit zu haben. Um das zu erreichen, überlegt er sich, dass die Mitarbeiter auf Konferenzen gehen müssen, um sich weiterzubilden. Sie benötigen Zeit, neben den Projekten Dinge auszuprobieren und sich mit anderen auszutauschen. Außerdem sollten Ideen schnell in die Projekte fließen, wofür sie zum geeigneten Zeitpunkt priorisiert werden müssen.
Jetzt stellt sich die Frage, was fehlt, damit das gewünschte Verhalten entstehen kann. Statt also das Ergebnis zu formulieren: “alle Mitarbeiter müssen X Mal im Jahr auf eine Konferenz gehen” (externes Ereignis), definiert man die Eigenschaft, die das Verhalten erlaubt, zum Beispiel: “Mitarbeiter verfügen frei über ihre Zeit”. Damit könnten sie frei entscheiden, sich mit anderen auszutauschen oder auf Konferenzen zu gehen. Ein anderer Punkt wäre “Jede Idee wird sofort umgesetzt”. Damit wäre die Frage der Priorisierung geklärt, da jede Idee sofort umgesetzt wird.

Gute Punkte zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Extremform des Vorstellbaren abbilden (Begriffe wie alle, jeder, nie, 100%, 0% sind Indikatoren dafür, dass dies der Fall ist) und möglichst viele Optionen schaffen. Zur Erinnerung: es geht nicht darum den True North zu erreichen. Er soll lediglich die Richtung der Veränderung vorgeben und das tun Extrempunkte besser, als vermeintlich einfach zu erreichende Ziele.
Mit etwas Übung und einer Sammlung verschiedener True North Punkte in der Gruppe, sollte man sich dann auf einige wenige einigen. Ideal sind hierbei drei bis fünf Punkte, die zusammen den True North bilden.
Am Ende eines solchen Workshops kann dann ein True North für eine Firma wie folgt aussehen:

  • Wir begeistern unsere Kunden jeden Tag neu
  • Jeden Tag entsteht eine Innovation
  • Jeder Mitarbeiter erkennt und nutzt seine Stärken
  • Keine Hierarchie, selbstorganisierte Teams entscheiden alles
  • Jeder Mitarbeiter trägt die freie Verantwortung für seine Zeit

Im nächsten Artikel wird die Frage beantwortet, wie man den Weg zum True North gestaltet und worauf man dabei achten sollte. Bis bald.

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